BND-Cybergefahren- BVerfG erklärt Massenüberwachung für teilweise verfassungswidrig – ein Beitrag von Max Adamek
Autor: Lasse Konrad Erstellt am: 7. November 2024 Rubrik: Artikel 10-Gesetz, DatenschutzrechtDas BVerfG hat am heutigen Tage seine Leitsatzentscheidung vom 8.10.2024 in der Sache rundum die Bekämpfung von s.g. „Cybergefahren“ durch den Bundesnachrichtendienst (BND) nach dem Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses (Artikel 10-Gesetz G 10) veröffentlicht. § 5 Abs. 1 Satz 3 Nr. 8 G 10, der die Abwehr dieses neuen Gefahrenbereichs regelt, ist nicht mit dem Grundgesetz vereinbar und muss vom Gesetzgeber überarbeitet werden (Beschluss v. 8.10.2024, 1 BvR 1743/16 – 1 BvR 2539/16 und 1 BvR 2539/16). Eine der beiden Verfassungsbeschwerden, über die der BVerfG entschieden hat, wurde von HÄRTING Rechtsanwälte erwirkt.
Um was geht es?
§ 5 G 10 ermächtigt den BND dazu, massenhaft Kommunikation zu überwachen, um Hinweise auf abzuwehrende Gefahren für Deutschland zu erhalten. Die s.g. „strategische Inland-Ausland-Fernmeldeaufklärung“ hat die Abwehr terroristischer Gefahren, aber auch die Eindämmung von Schleuser- und sonstiger Grenzkriminalität zum Ziel. Der BND darf als s.g. Auslandsnachrichtendienst jedoch eigentlich nur Auslandskommunikation überwachen, um Bedrohungen für die Bundesrepublik Deutschland von außen zu erkennen. Aufgrund der Internationalisierung der weltweit geführten grenzüberschreitenden (Tele-)Kommunikation sind Kommunikationsinhalte deutscher Staatsbürger häufig Teil der ins Ausland oder von dort ins Inland geführten Kommunikation.
Technisch ist es dabei für Geheimdienste wie dem BND nicht möglich, nur Ausland-Auslandkommunikation zu erfassen, also Kommunikation, an der nur ausländische Teilnehmer beteiligt sind. Unvermeidlich wird auch Inlandskommunikation mitüberwacht. Fest steht indes, dass der BND nicht die Kommunikation überwachen darf, die ausschließlich zwischen Menschen geführt wird, die sich im Bundesgebiet aufhalten. Gegenstand der Verfassungsbeschwerden war folglich aufgrund der Betroffenheit deutscher Staatsbürger die strategische Inlands-Auslands-Überwachung. Die Befugnisse des BND zur strategischen Massenüberwachung regelt § 5 G 10, dessen Absatz 1 in – bis 2015 bestehenden – sieben Nummern aufgeteilte Gefahrenbereiche niedergelegt sind, zu deren Abwehr- und Aufklärungszweck der BND Telekommunikation massenhaft überwachen und sammeln darf (der „Datenstaubsauger“).
Was war Anlass der Verfassungsbeschwerden?
Mit Änderungsgesetz aus dem Jahr 2015 hat der deutsche Gesetzgeber diesen Katalog erweitert und eine Nummer 8 hinzugefügt: die Abwehr von „Cybergefahren“. Gemäß § 5 Absatz 1 Satz 3 Nummer 8 Artikel 10-Gesetz darf der BND seit 2015 massenhaft Kommunikation überwachen und sammeln zur Abwehr der Gefahr des „kriminellen, terroristischen oder staatlichen Angriffs mittels Schadprogrammen oder vergleichbaren schädlich wirkenden informationstechnischen Mitteln auf die Vertraulichkeit, Integrität oder Verfügbarkeit von IT-Systemen in Fällen von erheblicher Bedeutung mit Bezug zur Bundesrepublik Deutschland“. Mit unserer Beschwerde aus dem Jahr 2016 haben wir die Regelung insbesondere mit Blick auf Artikel 10 Abs. 1 GG aus mehreren Gründen für verfassungswidrig gehalten. Insbesondere ist keine Unterscheidung zwischen Inlands-Auslands-Kommunikation und rein ausländischer Kommunikation vorgesehen. Inlands-Kommunikation wird ohne Begrenzung mit überwacht.
Was hat das BVerfG entschieden?
Mit Beschluss vom 8.10.2024, der am heutigen Tage (7.11.) veröffentlicht worden ist, hat das BVerfG unserer Beschwerde stattgegeben: der § 5 Abs. 1 Satz 3 Nr. 8 Artikel 10-Gesetz ist mit Art. 10 Abs. 1 GG nicht vereinbar, also verfassungswidrig. Zwar billigt das BVerfG grundsätzlich die Befugnisse des BND zur Abwehr des neuen Gefahrenbereichs, die „Cybergefahren“. Dies aber nur mit Einschränkungen, die den gesamten § 5 Artikel 10-Gesetz betreffen. Die Datenerhebung und -Verarbeitung im Rahmen der strategischen Inland-Ausland-Fernmeldeaufklärung verstößt in der bisherigen Ausgestaltung gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Das BVerfG hat dem Gesetzgeber deshalb die nachfolgenden, umfassenden Pflichten zur Nachbesserung des § 5 G 10 auferlegt:
Erste Einschränkung: Inlandskommunikation darf der BND nicht überwachen
Die erste „Hausaufgabe“ des BVerfG an den deutschen Gesetzgeber ist, sicherzustellen, dass dem BND soweit technisch machbar die Möglichkeit genommen wird, Inlandskommunikation zu überwachen. Dafür ist er als Auslandsnachrichtendienst anders als Inlandsnachrichtendienste auch gar nicht zuständig. Der Erste Senat beim BVerfG stellt hierbei eingangs klar, dass die erheblich gesteigerten technologischen Kommunikations- aber auch Überwachungsmöglichkeiten nicht mehr den Gegebenheiten entsprechen, die noch im Jahr 1999 vorzufinden waren, als das BVerfG zuletzt über Befugnisse zur Inlands-Auslands-Überwachung entschieden hat.
Bemängelt hat das BVerfG, dass das Artikel 10-Gesetz keine Vorgaben dazu enthält, wie mit Daten aus rein inländischer Telekommunikation umzugehen ist. Dies muss der Gesetzgeber hinreichend bestimmt und normenklar regeln.
Zweite Einschränkung: Der Kernbereich persönlicher Lebensgestaltung bedarf höheren Schutzes
Des Weiteren hat das BVerfG es für verfassungswidrig erklärt, dass der BND zu Überwachungszwecken befugt war, Suchbegriffe zu verwenden, mittels derer ausländische Kommunikation erfasst wird, die dem Kernbereich des höchstpersönlichen Lebensbereichs zugehörig ist. Diese Suchbegriffe dürfen auch gegenüber ausländischen Personen und deren Kommunikationsverkehr nicht eingesetzt werden. § 5 Abs. 2 Satz 3 in Verbindung mit § 5 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 G 10 muss bestimmter und normenklar geregelt werden.
Dritte Einschränkung: Die Löschpflichten gesammelter Daten müssen erweitert werden
Gleiches gilt den bislang in § 5 Abs. 2 Satz 6 G 10 vorgesehenen Löschfristen hinsichtlich der Dokumentation von nachrichtendienstlich durchgeführten Überwachungsmaßnahmen. Die Dokumentation durchgeführter strategischer Inland-Ausland-Fernmeldeaufklärung ist am Ende des jeweiligen Kalenderjahres zu löschen. Dies ist zu kurz, stellt das Gericht klar. Gerade damit sich von der Überwachung Betroffene effektiv gerichtlich wehren können, braucht es längere Aufbewahrungsfristen.
Vierte Einschränkung: Die Nachrichtendienste selbst unterliegen unzureichender Kontrolle
Damit auch die naturgemäß im Verborgenen agierenden Überwacher nicht freie Hand haben, müssen sie selbst überwacht werden. Zwecks „Überwachung der Überwacher“ sieht § 15 G 10 die unabhängige Kontrolle der Überwachungsaktivitäten des BND durch die dafür vorgesehene G 10-Kommission vor. Dabei bestehen jedoch nur unzureichende individuelle Rechtsschutzmöglichkeiten für von Überwachung Betroffene. Unzureichend, so konstatiert das BVerfG, weil es nur begrenzte Auskunfts- und Benachrichtigungspflichten zugunsten der von Überwachungsmaßnahmen betroffenen Bürger gibt. Ohne von seiner Überwachung zu wissen, kann sich der Bürger dagegen jedoch auch nicht gerichtlich wehren. Die gerichtsähnlich kontrollierende G 10-Kommission ist zwar ein geeignetes, verfassungskonformes Organ. Unzureichend ist es aber, dass dessen Mitglieder lediglich ehrenamtlich dort beschäftigt sind. Sie müssen bei der G 10-Kommission hauptamtlich tätig sein.
Rubrik: Artikel 10-Gesetz, Datenschutzrecht Stichwörter: Bundesverfassungsgericht, Cybergefahr