Rezension: IT-Recht Kommentar, Schuster / Grützmacher (Hrsg.) – Mehr als nur ein gelungener Erstling!
Autor: Stefan Sander Erstellt am: 9. September 2020 Rubrik: Datenschutzrecht, RezensionEs muss mindestens als ambitioniertes Ziel gewertet werden, wenn ein Werk geplant wird, welches das IT-Recht einheitlich erschließen soll. Heißt es bisweilen, dass es die vornehmste Aufgabe einer ersten Auflage sei, überhaupt zu erscheinen, so kann dem Schuster / Grützmacher (Hrsg.), IT-Recht Kommentar, ruhigen Gewissens attestiert werden, dass sein Verdienst weit darüber hinaus reicht.
Nach sechswöchigem Praxistest kann berichtet werden, dass das von 35 Bearbeitern erstellte umfassende Werk eine Bereicherung für den Arbeitsalltag darstellt. Als praktisches Nachschlagewerk erleichtert es die Aufgabe, ständig neue bzw. abgewandelte Problemstellungen zielsicher einschätzen zu können, Abstraktionsfähigkeit und Branchen- bzw. Sachverhaltskenntnis des Lesers vorausgesetzt. Das Versprechen, eine systematische Zusammenführung zu liefern von einer Flut von Literaturfundstellen und einer mittlerweile doch nennenswerten Zahl von gerichtlichen Entscheidungen, wird vom Werk jedenfalls eingelöst.
Nicht nur ob des schieren Umfangs ist das Werk wahrlich kein „dünnes Brett“. Die Herausgeber sind bei der Konzeption des Werks von einem technologieorientierten Ansatz ausgegangen, nämlich von einer Konzentration auf die Nutzung von Hardware, Software und Daten. Es wird nicht „das gesamte IT-Recht“ behandelt, wenn man dafür das Verständnis von § 14k FAO zugrunde legt, sondern der harte Kern des IT-Vertragsrechts. Die weicheren Themen, die bisweilen unter dem noch weniger trennscharfen Begriff „Internetrecht“ zusammengefasst werden, insbesondere die Bereiche Recht des elektronischen Geschäftsverkehrs, Verbraucherschutz und Persönlichkeitsrechte im Internet, bleiben hier aufgrund der Schwerpunktsetzung außen vor. Aus dieser Konzeption hervorgegangen ist eine fachlich extrem tiefgehende sowie gelungene, aktuelle und prägnante Darstellung eines juristischen Themas, welches auf einem komplexen Sachverhalt aufsetzt. Diese doppelte Herausforderung haben die Autoren gemeistert.
Das Werk ist denjenigen Leser besonders zu empfehlen, die den Sachverhalt hinreichend durchdrungen haben, um ihn einer juristischen Bewertung zuführen zu können, wobei es sich empfiehlt, auch insoweit bereits zumindest grob orientiert zu sein. Denn das Werk ist als Kommentar klassisch strukturiert, von der jeweiligen Norm her kommend. Es verfolgt nicht den Ansatz eines Handbuchs, welches vom Sachverhalt ausgehend dem Leser den Weg zum Recht vermitteln soll. Der alphabetische Aufbau nach Gesetzen bzw. Regelwerken erleichtert das Auffinden der jeweiligen Norm, zu der der Leser nähere Informationen wünscht. Bereits ein Blick in die nach 3 Teilen sortierte Inhaltsübersicht offenbart recht zügig, dass es sich hier um ein Werk zur Verwendung für Fachleute in einem Spezialbereich abseits des juristischen Mainstream handelt: 1. Teil EU-Recht (AEUV, DSGVO, Dual-Use VO, F&E-GVO, Rom I-VO, Rom II-VO, TT-GVO, Vertikal-GVO), 2. Teil Nationales Recht (AWG, BGB, GeschGehG, GWB, HGB, InsO, KWG, PatG, ProdHaftG, ProdSG, StGB, UrhG, WpHG) und 3. Teil Besondere Vertragsbedingungen (ASL, BSD, GPLv2, GPLv3, LGPLv2.1, LGPLv3).
Ein besonderer Dank gilt den Herausgebern dafür, dass die (auch) auf den Lebenssachverhalt Softwarevertrieb ausgerichtete Kommentierung sich nicht nur auf Gesetze beschränkt, sondern den – ihrer Häufigkeit nach im Vordringen befindlichen – Open Source Software Lizenzen einen eigenen Teil widmet. Dieser ist für sich genommen mit ca. 150 Seiten, die noch flankiert werden durch eine Vielzahl von Abschnitten im Kontext einzelner Normen (etwa zur Berechnung des Schadens mithilfe der Lizenzanalogie bei Verletzung einer OSS-Lizenz), auch sachgerecht dimensioniert und inhaltlich gut gelungen. In Anbetracht der Bedeutung, den die Verwendung von OSS für die Softwareentwicklung heutzutage hat (und die damit ständig steigende Wahrscheinlichkeit für Streitigkeiten in diesem Bereich), ist dies eine zukunftsorientierte Konzeption des Werks.
Um einen kleinen Eindruck von der Komplexität des Werks zu vermitteln, seien einige Themen in Stichworten erwähnt: Es finden sich Ausführungen zu IT-Sicherheitslücken unter dem Blickwinkel des Produkthaftungsrechts, zur Notwendigkeit von Penetration Tests aufgrund des Datenschutzes, zum Verhältnis von Funkanlagengesetz und Elektromagnetische-Verträglichkeit-Gesetz im Kontext von WLAN, Bluetooth & Co. ebenso wie eine ausführliche Darstellung von Sorgfaltspflichten im Kontext des IT-Outsourcings am Beispiel des regulierten Geschäftsumfelds im Kreditwesen oder zu Mitwirkungspflichten von IT-Unternehmen im Kontext von Migrationen. Auch in Bereichen wie dem Recht der Geschäftsgeheimnisse, die durch den Gesetzgeber neu geordnet wurden und für die daher alte Rechtsprechung (insb. zum Stichwort „kraft der Natur der Sache geheimhaltungsbedürftig“) gänzlich ihre Bedeutung verloren hat, spart das Werk nicht mit instruktiven und übersichtlichen Erläuterungen nebst zahlreichen Verweisen auf weiterführende Literatur.
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass das Werk nach diesseitiger Einschätzung gleichermaßen geeignet ist für Rechtsanwälte, Justitiare und Richter. Der praktische Nutzen des profunden und detaillierten Nachschlagewerks kann jedoch mutmaßlich nur dann voll erschlossen werden, wenn beim Leser Vorwissen vorhanden ist. Für einen ersten, „leichten” Einstieg in das IT-Recht ist das Werk nicht geeignet.
Prädikat: Eine ausführliche Querschnittskommentierung, die für die im IT-Recht tätigen Praktiker sehr empfehlenswert ist!
Stefan Sander, LL.M., B.Sc.
Rechtsanwalt, Fachanwalt für IT-Recht sowie Software-Systemingenieur
Rubrik: Datenschutzrecht, Rezension Stichwörter: Datenschutzrecht, DSGVO, IT-Recht, Kommentar